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Wärmerückgewinnung aus dem Abwasserkanal - alternative Wärmequelle für Städte und Quartiere

Städte und Kommunen sind verpflichtet, in den nächsten Jahren eine kommunale Wärmeplanung zu erstellen und klimafreundliche, lokale Wärmequellen zu erschließen, um diese in die Heizinfrastruktur einzubetten. 
Auf der Suche nach ergiebigen Quellen gerät das Abwasser immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit. Besonders in dicht besiedelten Städten und Ballungsräumen. Abwasser hat im Kanal eine Temperatur zwischen 10 und 20 Grad Celsius und ist besonders tagsüber, wenn Wärme (oder Kälte) benötigt wird, durchgehend ergiebig verfügbar. Durch die deutsche Kanalisation fließen jedes Jahr etwa zehn Milliarden Kubikmeter Abwasser.

Definition von Abwasserwärmerückgewinnung

Abwasser ist eine gute Wärmequelle, die zum Heizen und Kühlen in modernen Wärmenetzen herangezogen werden kann – nicht erst im Klärwerk (wie in einem vorangegangenen Blogbeitrag beschrieben), sondern bereits direkt im Kanal. 
Abwasserwärmerückgewinnung bezeichnet den Prozess der Extraktion von Wärmeenergie aus dem Abwasser, das aus Haushalten, Industrieanlagen und anderen Quellen stammt, mittels Wärmetauscher, um die thermische Energie des Abwassers abzugreifen und in Heiz- oder Kühlsysteme zu leiten. Die gewonnene Wärme kann zur Beheizung und Kühlung von Gebäuden und zur Brauchwassererwärmung genutzt werden.

Funktionsweise der Abwasserwärmerückgewinnung

Standardisierte Wärmetauscher aus Edelstahl können sowohl bei der Konstruktion neuer Abwasserkanäle als auch bei der Sanierung bestehender Kanäle entlang des Kanalbodens installiert werden. Das warme Abwasser fließt über den Wärmetauscher, der von einer kühlen Flüssigkeit durchströmt wird und gibt seine Wärme an das kühlere Fluid ab. Das erwärmte Fluid wird verdichtet und gelangt so zur Wärmepumpe. Diese erhöht das Temperaturniveau auf den gewünschten Wert und macht die Wärme so nutzbar. Soll das Gebäude auch gekühlt werden, kommt eine reversible Wärmepumpe zum Einsatz: Der Kreislauf wird dann im Sommer einfach umgedreht und das Gebäude über den Abwasserstrom gekühlt. Hierbei dient das Abwasser dazu, überschüssige Wärme, die dem Gebäude entzogen wurde, abzutransportieren. 
Eine alternative Methode zu den herkömmlichen Kanalwärmetauschern sind Betonelemente mit eingebauten Wärmetauschern, die vor allem bei der Konstruktion neuer Kanäle Anwendung finden. 
Durch den Wärmeentzug wird das Abwasser im Kanal, das durchschnittlich eine Temperatur von 15 °C aufweist, abgekühlt. Allerdings steigt die Temperatur des Abwassers nach einigen Metern wieder an, weil ständig neue Zuflüsse aus den Häusern hinzukommen. Unter 5 °C darf das Abwasser nicht abgekühlt werden – diesen Wert geben die meisten Kommunen als unteren Grenzwert an. Am Einlauf der Kläranlage muss das Wasser mindestens 12°C haben.

Effizienz und Kosten im Vergleich mit fossiler Wärme

Die meisten Abwasserheizungen werden mit Elektrowärmepumpen betrieben. Weil Abwasser im Vergleich zu anderen Wärmequellen wie Luft, Grundwasser oder Geothermie wärmer ist, arbeiten diese Anlagen konstant effizient. Die Menge an erzeugter Nutzenergie (Raumwärme, Warmwasser) liegt deutlich höher als der Verbrauch an Primärenergieträgern (Kohle, Erdgas - noch besser ist natürlich, wenn die Quelle zur Stromerzeugung ebenfalls regenerativ wird, z. B. PV) zur Erzeugung des benötigten Stroms. Die Effizienz der Abwasserwärmerückgewinnung variiert je nach Art der Anlage und den örtlichen Gegebenheiten – meist liegt die Jahresarbeitszahl JAZ aber bei 4 oder darüber. 

Was die Kosten betrifft, sind die Investitionen in Abwasserwärmerückgewinnungsanlagen in der Regel höher als bei konventionellen Heizsystemen. Dennoch können die langfristigen Betriebskosten aufgrund der stabilen und kostenfreien Verfügbarkeit von Abwasser als Energiequelle wettgemacht werden. Dies macht die Abwasserwärmerückgewinnung auf lange Sicht zu einer wirtschaftlich attraktiven Alternative. Laut dem europäischen Marktführer Uhrig liegen „die Wärmegestehungskosten für Energie aus Abwasser an geeigneten Standorten bei ca. 7 Cent pro kWh Heizleistung. In dieser Vollkostenrechnung sind die Anschaffungskosten (Wärmetauscher, Erschließung, Wärmepumpe) und der Wärmepumpenstrom bereits enthalten.“ (Quelle: www.uhrig-bau.eu/geschaeftsfeld/energie-aus-abwasser/wirtschaftlichkeit/).

Potenzial der Abwärme aus dem Kanal

Die im Abwasser enthaltene Energie kann in Deutschland rein rechnerisch 15 Prozent des Wärmebedarfs im Gebäudesektor abdecken, so der Bundesverband Wärmepumpe e. V. Die Restwärme bzw. Restenergie aus dem Abwasser steht kostenlos zur Verfügung. Ihre Nutzung reduziert den Verbrauch anderer Energieträger. Die Nutzung von Abwasserwärme kann zukünftig zur Dekarbonisierung und Energiewende im Wärmemarkt beitragen. 
Besonders günstig sind die Voraussetzungen dort, wo in der Nähe von großen Abwasserkanälen Bauten oder Quartiere mit einem hohen Wärmebedarf vorhanden sind: Verwaltungsgebäude, Wohnsiedlungen, Gewerbe- und Industriebauten, Schulen, Heime und Sportanlagen. Solche Standorte finden sich in den meisten Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern und im Einzugsgebiet von regionalen Kläranlagen. 
Voraussetzung für eine wirtschaftliche Energienutzung aus Abwasser ist ein Heizwärmebedarf von mindestens 100 kW und die Nähe des Objektes zu einem großen Abwasserkanal oder einer Kläranlage.

Voraussetzungen für effiziente Wärmenutzung aus Abwasser

Bei den Gebäuden:

  • Heizleistung mit einem Leistungsbedarf von mindestens 100 kW (= 20 Wohneinheiten+)
  • Nähe zum Kanal: Je näher ein Gebäude zum Abwasserkanal liegt, desto kostengünstiger lässt sich die Wärmegewinnung realisieren.
  • Bebauungsdichte: Je höher die Bebauungsdichte eines Areals ist, desto wirtschaftlicher lässt sich ein Nahwärmenetz mit Abwasserwärme betreiben.
  • Geringer Temperaturunterschied zwischen Quelle und Senke – besonders bei Neubauten gegeben (Fußbodenheizung, Bauteilaktivierung).
  • Option Klimakälte: Im Sommer kann Kanalabwasser auch zum Kühlen genutzt werden. Die Wärmepumpe wird in diesem Fall als Kältemaschine betrieben. Dadurch lässt sich die Investition besser ausnutzen.

Beim Kanal:

  • Temperatur des Abwassers auch im Winter über 10 °C
  • Größe, Lage: Kanalquerschnitt über 1m und geringe Verlegungstiefe mit guten Zugangsmöglichkeiten (es können Kanäle ab DN400 angezapft werden)
  • Kosten sparen durch einfache Verbindung zum Objekt

Beispiele für Anwendungen in Deutschland und Europa

In Deutschland und anderen europäischen Ländern sind bereits mehrere erfolgreiche Abwasserwärmerückgewinnungsprojekte in Betrieb.

  • Quartier Haus der Statistik am Alexanderplatz in Berlin: Auf einer Gesamtfläche von 46.000 m2 Sanierung, 65.000 m2 Neubauten, darunter Wohnungen, Büros und Räumlichkeiten für Bildungs- und Kulturangebote. Ab 2029 soll das Quartier durch den Einsatz von Wärmetauschern in der Kanalisation, mehreren Wärmepumpenzentralen und einem Nahwärmenetz sowohl beheizt als auch klimatisiert werden. Die benötigte elektrische Energie wird durch Photovoltaikanlagen erzeugt. Die Umstellung ermöglicht jährliche Einsparungen von etwa 722 Tonnen CO2 im Vergleich zu einer ausschließlichen Versorgung mit Erdgas (Projekt der Berliner Standtwerke)
  • Hamburg, Deutschland: Die Stadt Hamburg setzt auf Abwasserwärmerückgewinnung, um Wärme für Wohngebiete zu erzeugen. Dabei wird das Abwasser aus Haushalten genutzt, um Wohnungen zu beheizen und somit einen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen zu leisten.
  • Wien, Österreich: Wien hat innovative Abwasserwärmerückgewinnungsanlagen implementiert, die Wärme für öffentliche Gebäude und Wohnsiedlungen bereitstellen. Diese Anlagen helfen, den Energieverbrauch der Stadt zu optimieren und ihren CO2-Fußabdruck zu verringern. Die im Bau befindliche Großwärmepumpe bei der Ebswien-Kläranlage soll ab 2027 bis zu 112.000 Wiener Haushalte mit Fernwärme versorgen.
  • Stockholm, Schweden: In Stockholm werden moderne Abwasserwärmerückgewinnungsanlagen genutzt, um Industriegebiete mit Wärme zu versorgen. Diese Anwendungen helfen dabei, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren und die Nachhaltigkeitsziele der Stadt zu unterstützen.

Die Leistungsfähigkeit solcher Anlagen kann von einigen Megawatt (MW) bis hin zu mehreren Dutzend Gigawatt (GW) reichen, abhängig von der Größe der Anlage und der Menge des verarbeiteten Abwassers. Oftmals sind die Kapazitäten auch auf die Anforderungen der versorgten Gebäude oder Industriegebiete zugeschnitten.

Zusammenfassung und Einschätzung der Lage

Die Abwasserwärmerückgewinnung bietet eine vielversprechende Alternative zur konventionellen Wärmeerzeugung in Städten und Ballungsräumen. Sie ermöglicht nicht nur eine effiziente Nutzung von Abwasser als erneuerbare Energiequelle, sondern trägt auch zur Reduzierung der Umweltbelastung bei, indem sie den Einsatz fossiler Brennstoffe minimiert.
Trotz der höheren anfänglichen Investitionskosten zeigen die erfolgreichen Implementierungen in verschiedenen europäischen Städten, dass die langfristigen Vorteile der Abwasserwärmerückgewinnung die Kosten übersteigen können. Mit weiteren technologischen Entwicklungen und einer verstärkten Akzeptanz dieser Methodik könnten Städte und Ballungsräume in Zukunft vermehrt auf diese umweltfreundliche Wärmegewinnungsmethode setzen und damit ihren Weg zu einer nachhaltigeren Energieversorgung ebnen.