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Kalte Nahwärmenetze

Kalte Nahwärmenetze, auch Anergienetze oder Wärmenetze 4.0* genannt, nutzen die Wärme aus Erde, Wasser und Luft, um Quartiere und Stadtteile zu versorgen. Die Temperaturen im Netz liegen dabei deutlich unterhalb herkömmlicher Fern- oder Nahwärmesysteme. Kalte Nahwärmenetze können vollständig aus erneuerbaren Energiequellen gespeist werden. Daher bieten sie eine gute Chance für eine nachhaltige, potenziell CO2- und emissionsfreie Wärmeversorgung – und somit für den Klimaschutz und die Erreichung der Klimaschutzziele.

*in der englischsprachigen Literatur wird auch schon von der „5th generation district heating and cooling“ gesprochen.

Was ist kalte Nahwärme?

Eine gewöhnliche Wärmeversorgung hat meist eine Vorlauftemperatur von über 70°C (neuere innovative Wärmenetze 45-60°C). Kalte Nahwärmenetze kommen dagegen mit niedrigen Übertragungstemperaturen zwischen etwa 5-25°C aus. So können sie sowohl Wärme als auch Kälte bereitstellen. Um die Betriebstemperaturen für die Warmwasser- und Heizwärmeproduktion auf das erforderliche Niveau anzuheben, benötigt jeder Abnehmer eine Wärmepumpe.

Umgekehrt kann diese Pumpe auch Kälte produzieren. Die dabei entstehende Abwärme fließt zurück ins Wärmenetz. Durch diese Energie-Einspeisung werden Konsumenten zu sogenannten Prosumern, die Wärme sowohl konsumieren als auch produzieren können (Producer-Consumer).

Kalte Nahwärmenetze sind besonders effizient. Denn durch die geringe Temperaturdifferenz zum umgebenden Erdreich ist eine Dämmung der Rohre nicht notwendig. Damit die Rohre im Winter nicht einfrieren, strömt in der Regel eine sogenannte Sole, beispielsweise ein Wasser-Glykol-Gemisch, durch die Rohrleitungen.

Quellen für kalte Nahwärmenetze – erneuerbare Energien

Kalte Nahwärmenetze können vollständig aus erneuerbaren Energiequellen gespeist werden. Daher bieten sie eine gute Chance für eine nachhaltige, potenziell CO2- und emissionsfreie Wärmeversorgung – und somit für den Klimaschutz und die Erreichung der Klimaschutzziele.

Weil kalte Nahwärmenetze modular aufgebaut sind, können sie nach und nach erweitert und aus unterschiedlichen Quellen gespeist werden. Eine Kombination der Quellen ist also nicht nur möglich, sondern durchaus sinnvoll. Als Energielieferanten kommen Erde, Wasser, Solarthermie, Umgebungsluft, aber auch gewerbliche und industrielle Abwärme infrage.

  • Geothermie: Oberflächennahe Kollektoren und Sonden sammeln die Energie, die im Kalten Nahwärmenetz an die Verbraucher geleitet und erst dort individuell durch Wärmepumpen auf die gewünschte Vorlauftemperatur gebracht wird.   
  • Die Aquathermie nutzt die im Wasser enthaltene Wärmeenergie, um damit zu heizen oder zu kühlen. Als Wärmequelle dienen dabei, je nach Verfügbarkeit, das Grundwasser, Flüsse, Seen oder auch Abwasser.
  • Solarthermie eignet sich insbesondere zur Regeneration geothermischer Quellen, zum Laden thermischer Speicher und generell zur Beladung von Speichern.
  • Auch Umweltwärme bzw. Abwärme ist eine mögliche Quelle, beispielsweise über die Abwärme der Kühlungselemente von Supermärkten oder Büros. In Städten sind hier auch Rechenzentren zu bedenken, deren Abwärme üblicherweise (wenn luftgekühlt) knapp 30°C warm ist. Hier ist die Einspeisung in kalte Nahwärmenetze besonders sinnvoll. Als weitere Wärmequelle kann auch die Rücklaufleitung konventioneller Fernwärmenetze dienen.
  • Die Quelle Abwasser steht permanent zur Verfügung – gerade im urbanen Raum. Zudem gibt es keine negativen Effekte, wenn die Wassertemperatur durch die Verwendung der Wärme schwankt.
  • Sofern die Betriebstemperatur des Kaltwärmenetzes niedriger ist als die Bodentemperatur, kann auch das Netz selbst Wärme aus dem umliegenden Boden aufnehmen. In diesem Fall wirkt das Netz wie eine Art Erdwärmekollektor.

Speicher als Bestandteil kalter Nahwärmenetze

Im Gegensatz zu Klimaanlagen, die ihre Abwärme einfach ungenutzt in die Umgebung abgeben, kann die Abwärme im Kalten Nahwärmenetz sinnvoll genutzt und dadurch viel Energie eingespart werden. Wärmespeicher bieten die Möglichkeit, beispielsweise diese Abwärme zu speichern und so saisonale Schwankungen in der Wärmeproduktion auszugleichen. Vor allem dort, wo der Wärme- und Kühlbedarf nicht ausgeglichen ist oder wo keine ganzjährig ausreichende Wärmequelle vorhanden ist, ist ein solcher Wärmespeicher sinnvoll. Überschüssige Wärme aus dem Sommerhalbjahr wird dabei eingespeichert und die Temperatur des Bodens damit erhöht. In der Heizperiode wird der Prozess dann umgekehrt. Eine Möglichkeit zur Speicherung ist ein Eisspeicher.

Verlegung und Anschluss eines kalten Nahwärmenetzes

Durch die nicht notwendige Isolierung sind die Rohrleitungen von Kalten Nahwärmenetzen einfacher und günstiger. Im Vergleich zu konventionellen Fernwärmeleitungen müssen aber Rohre mit größerem Durchmesser verwendet werden, um die gleiche Wärmemenge transportieren zu können. Aufgrund dieses größeren Volumens verbraucht die Wärmepumpe mehr Energie für ihre Pumpleistung.

Jeder Abnehmer benötigt im System der Kalten Nahwärmenetze eine eigene Wärmepumpe sowie einen Warmwasserspeicher. Die Wärmepumpe hebt die Temperatur auf das nötige Niveau zum Beheizen der Wohnung und erzeugt das Warmwasser. Außerdem kann sie das Haus auch kühlen.

Bedeutung kalter Nahwärmenetze

Kalte Nahwärmenetze können entscheidend zur Dekarbonisierung der Wärme- und Kälteversorgung im Rahmen der Energiewende und des Klimaschutzes beitragen. Bei Verwendung erneuerbarer Energien ist der Primärenergiebedarf gering – prinzipiell können kalte Nahwärmenetze zu 100% aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Es fallen damit auch keine CO2- und Schadstoffemissionen vor Ort an.

Ein wichtiger Aspekt bei der Nutzung kalter Nahwärmenetze ist die mögliche Sektorenkopplung. Power-to-Heat-Technologien können, mithilfe der Wärmepumpe, elektrische Überschüsse aus erneuerbaren Energien für die Wärmebereitstellung verwenden. Werden diese Überschüsse gespeichert, leistet diese Technologie einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit.

goodmen energy: Simulation kalter Nahwärmenetze

Wie zuvor erwähnt, nehmen kalte Nahwärmenetze Wärmeenergie vom Boden auf und wirken somit selbst wie ein Erdkollektor. Uns hat interessiert, wie hoch dieser Beitrag ist.

Dafür haben wir uns an einer Machbarkeitsstudie orientiert, die wir für ein Stadtquartier durchgeführt haben. Über das kalte Netz soll eine Leistung von bis zu 530 kW zur Verfügung gestellt werden. Das entspricht in etwa 100 modernen Einfamilienhäusern. Aus der Leistung ergeben sich der erforderliche Massenstrom und die Rohrdurchmesser.

Um eine vereinfachte Abschätzung über den thermischen Ertrag des kalten Netzes treffen zu können, haben wir simulativ eine 880 m lange Rohrleitung in einem Meter Tiefe vergraben und mit Wasser durchströmt (in Wirklichkeit würde man ein Wasser-Glykol-Gemisch verwenden). Für die Wassertemperatur werden stündlich aufgelöste Werte für ein Jahr vorgegeben, die wir aus der Simulation des Energiesystems (Erdwärmesonden + Verbraucher) zuvor ermittelt hatten.

Für die Simulation haben wir folgende Vereinfachungen getroffen:

  • Wasser anstelle von Glykol als Wärmeträger
  • Konstanter Massenstrom über gesamte Rohrlänge
  • Netzeintrittstemperatur = Erdwärmesondenaustrittstemperatur
  • Laminare Strömung
  • Keine gegenseitige Beeinflussung von Vor- und Rücklauf

 

Die Abbildung zeigt den thermischen Beitrag des kalten Netzes (KNW) im Vergleich zum Beitrag des Erdwärmesondenfeldes (EWS). Im Sommer sind die Werte negativ. Hier erfolgt eine Energieabgabe an die Umgebung. Im jährlichen Mittel werden etwa 20% der erforderlichen Anergie über das kalte Nahwärmenetz gewonnen. Im Januar sind es etwa 16%. Eine nicht zu verachtende Menge an Energie, die uns hier geschenkt wird. Wir erwarten in Realität noch höhere Werte, da die Netztemperatur im Rücklauf von den Wärmepumpen zum Sondenfeld um etwa 3 Grad niedriger liegt. Somit ergeben sich noch höhere thermische Erträge.

Vorteile und Nachteile von Anergie-Netzen auf einen Blick

Vorteile:

  • Erneuerbare Energie-Quellen, die kostenfrei und unbegrenzt zur Verfügung stehen
  • Möglichkeit der CO2-freien, lokalen Versorgung ohne Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen
  • Keine Dämmung der Rohrleitungen erforderlich
  • Effizienz durch nur geringe Wärmeverluste im Leitungsnetz
  • Im Idealfall Aufnahme von Wärme aus dem Erdreich
  • Reduzierte Betriebskosten

Nachteile:

  • Höhere Investitionskosten für Wärmepumpe und Anschluss an das Nahwärmenetz im Vergleich zum Anschluss an ein herkömmliches Fernwärmenetz
  • Durch große Volumenströme und größere Rohrdurchmesser entsteht ein höherer Strombedarf für die Pumpen

Förderung für die kalte Nahwärme

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fördert seit dem 01.07.2017 Machbarkeitsstudien und die Realisierung von Wärmenetzsystemen 4.0. Eine Machbarkeitsstudie muss bei Netz-Temperaturen unter 20°C nachweisen, dass dadurch Kosten, Energie oder CO2-Emissionen eingespart werden. Die Machbarkeitsstudien „Wärmenetze 4.0“ ist das erste Förderprogramm, mit dem nicht nur Einzeltechnologien und  -komponenten, sondern Gesamtsysteme gefördert werden. Mehr dazu hier.